Allein im Landkreis Börde fanden im Jahr 2020 bisher 32 Frauen und 38 Kinder Schutz vor weiteren gewalttätigen Übergriffen. Entgegen der Annahme, dass im Zuge der Pandemie im Frühjahr 2020 verstärkte Aufnahmeanfragen zu verzeichnen waren, stagnierte jedoch von April bis Juni die Zahl. Im Juli hingegen wurde die Kapazitätsgrenze wieder erreicht. In der Ferienzeit (August 2020) lebten18 Kinder im Frauenhaus .
Neben körperlicher und sexueller Gewalt haben auch psychische und emotionale Gewalt gravierende Folgen. Die Weltgesundheitsorganisation benennt Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen. Viele Frauen, die Gewalt erleben, haben danach Schwierigkeiten, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sie leiden unter Depressionen, vereinsamen, verarmen – emotional und materiell. Häufig hat die Gewalt generationenübergreifende Auswirkungen auf die ganze Familie. In Deutschland, das sich bei der Anzahl von gewalttätigen Übergriffen auf Frauen im europäischen Vergleich im Mittelfeld befindet, werden rund 35 Prozent der Frauen nach ihrem 15. Lebensjahr irgendwann Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt.
Die Istanbul-Konvention ist ein Menschenrechtsabkommen des Europarats zur Bekämpfung und Verhütung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen und seit Februar 2018 in Deutschland geltendes Recht. Das Abkommen hat weitreichende Konsequenzen auf der Bundes-, Länder- und der kommunalen Ebene und für viele verschiedene Ressorts von der Kultus- bis zur Gesundheitspolitik.
Die Bundesregierung veröffentlichte im September 2020 den GREVIO-Staatenbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. Auch über zwei Jahre nach Inkrafttreten der Gewaltschutz-Konvention fehlen Deutschland ein politisches Konzept, handlungsfähige Institutionen und die notwendigen Ressourcen, um alle Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen, kritisiert das zivilgesellschaftliche Bündnis Istanbul-Konvention.
Der Zusammenschluss von Frauenrechtsorganisationen, Gewaltschutz-Verbänden und Expert*innen gegen geschlechtsspezifische Gewalt kreidet an, dass Hilfestrukturen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen in Deutschland weiterhin lückenhaft und unterfinanziert sind. „Frauenhäuser müssen immer wieder schutzsuchende Frauen mit Kindern abweisen. Beratungsstellen können Frauen oft nur auf Termine im nächsten Monat vertrösten.
Der Schutz aller Frauen vor Gewalt ist ein bedeutender Grundsatz der Istanbul-Konvention. Er gilt ausdrücklich für besonders schutzbedürftige Personen, wie geflüchtete Frauen, Migrant*innen, Sexarbeiter*innen, Lesben, Trans- und Interpersonen oder Personen mit Behinderung. Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind besonders häufig von Gewalt betroffen. Ein umfassendes Gewaltschutzkonzept für Frauen mit Behinderungen, wie es sowohl die Istanbul-Konvention als auch die UN-Behindertenrechtskonvention fordern, steht aber noch aus.
Bundesweites Hilfetelefon
Kostenlose Telefonhotline für Betroffene 08000 116 016 oder über jede Polizeidienststelle. Die Nummer ist kostenlos und bundesweit rund um die Uhr erreichbar. Sie kann auch ohne Handyguthaben genutzt werden.Mehr Informationen unter: www.hilfetelefon.de