Struktur- und Artenvielfalt durch den Einsatz großer Weidetiere auf Niedermoorstandorten
Wilde Weiden am Hägebach
Im Zusammenhang mit dem Projekt „Renaturierung der Hägebachaue“ wurde 2015 zum Schutz der biologischen Vielfalt eine Beweidung mit Heckrindern am Hägebach eingeführt. Durch die extensive Landnutzungsform einer „halboffenen Weidelandschaft“ wird ein Naturraum geschaffen, wie er in einigen Teilen Mitteleuropas vor der Einwanderung des Menschen ausgesehen haben könnte. Damals streiften große Herden durch die weitläufigen Grasländer und nahmen Einfluss auf die Gestaltung der Landschaft. „Wilde Weiden“ zeichnen sich aus durch ganzjährig im Freiland lebende Rinder, Pferde und andere große Weidetiere, auf möglichst großen zusammenhängenden Flächen. Eine geringe Besatzdichte mit weniger als sechs ausgewachsenen Weidetieren je 10 Hektar Grünland ermöglicht einen geschlossenen Nahrungskreislauf, da auf eine Zufütterung der Tiere weitgehend verzichtet werden kann. Durch den Verzicht auf prophylaktische Medikamentenverabreichung wird die Ausscheidung von entwicklungshemmenden Wirkstoffen auf Kleinlebewesen so gering wie möglich gehalten. Die gewünschte Ausbreitung der Feuchtwiesenarten wird auf natürliche Weise gefördert, da das Samenmaterial durch die regelmäßigen Wanderbewegungen der Rinder in den Flächen verteilt wird.
Durch das selektive Fressverhalten der Rinder entwickelt sich auf Ganzjahresweiden ein dynamisches Mosaik aus Grasland und Gehölzstrukturen. Neben kurzrasigen Weideflächen bilden sich in Bereichen, die von den Weidetieren weniger häufig aufgesucht werden, Altgrasbestände und nektarreiche Staudensäume aus. Während bei der Wiesenmahd ein Großteil der Entwicklungsformen von Insekten von der Fläche geräumt wird, existieren durch den geringen Beweidungsdruck in naturnahen Weiden stets Areale, in denen die mehrstufige Entwicklung vieler Insekten ungestört vollendet werden kann. Bereiche mit überständiger Vegetation stellen zudem wichtige Überwinterungsquartiere dar. Auch Arten, die in lockeren Erdbauten leben, können sich auf den Flächen ansiedeln, da der Boden nicht mehr durch schwere Maschinen verdichtet wird. Speziell Ameisen können so ihren natürlichen Beitrag bei der Verbreitung von Pflanzensamen leisten.
Durch das vielseitige Angebot an Nahrungspflanzen, kann innerhalb der Weidefläche ein wesentlich höheres Vorkommen an Tagfaltern und anderen Insekten verzeichnet werden. Die großflächigen Säume aus verschiedenen Distelarten stellen auch dann wertvollen Nektar zur Verfügung, wenn die umliegenden Grünlandflächen gemäht sind und andere Pflanzenarten während lang anhaltender Trockenperioden längst verdorrt sind.
Der Verlauf des Hägebachs und ein Teil der ehemaligen Entwässerungsgräben liegen innerhalb der Weidefläche. Ein vom Biber angestauter Grabenabschnitt wird regelmäßig von den Rindern zur Wasseraufnahme aufgesucht und durch den permanenten Verbiss der Gewässerrandvegetation offen gehalten. Die Trittbelastung führt dazu, dass der Grabenquerschnitt breiter und die Uferkanten flacher geworden sind. Es hat sich heraus gestellt, dass dieses durch die Rinder überformte Gewässer ein besonders wertvolles Biotop für Libellen darstellt. Von den 41 im Projektgebiet heimischen Libellenarten kommen insgesamt 35 an den Gewässern innerhalb der Weidefläche vor. Darunter befinden sich verschiedene Moorlibellen, vier landesweit seltene Arten, sowie eine Art nach gemeinschaftlichem Interesse nach Anhang II der FFH-Richtlinie (92/43/EWG).
Die Grünlandbewirtschaftung durch extensive Beweidung wird im Rahmen der Agrarumweltprograme des Landes Sachsen-Anhalt gefördert durch den Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER).